Wendezeit
Eine Sache,über die ich in letzter Zeit immer wieder nachdenke ist, dass fast jede Religion und jede Ideologie eine Eschatologie hat. Denn das ist ja nichts anderes als der Glaube daran, dass es mit der Menschheit insgesamt ein glückliches Ende nehmen wird. Erlösung erwarten wir zwar vor allem eher persönlich, aber das ist eine andere Sache. Erlösung erwarten wir vom Tod (oder von der Entrückung), aber darüber hinaus fühlen wir uns auch gedrungen, für die Existenz dieser Welt, in der unsere Nachkommen leben werden, etwa zu hoffen und wenn möglich auch zu tun.
Ob es das kommunistische Arbeiterparadies ist, oder eine scientistische Weiterentwicklung des Menschen zum Supermensch, der mit intelligenter Wissenschaft und Forschung alle Probleme doch noch zu lösen imstande ist — es geht immer darum, dass die Welt wie sie ist nicht fertig ist, es muss noch etwas Großes geschehen, um ein verloren geglaubtes Paradies wieder herzustellen.
Christen Juden und Moslem verbindet nicht nur Abraham, der Monotheismus und eine jeweilig andere Auswahl Schriften die sie für heilig, von Gott gegeben betrachten, auch in der Eschatologie erwarten alle drei einen von Gott gesandten Messias der Gericht halten wird und in einer gereinigten Welt ein Friedensreich errichtet. Auch wenn alle drei sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie das aussehen wird, so ist das doch eine sehr weitgehende Gemeinsamkeit.
Es gibt aber auch eine Religion, bzw. mehrere Religionen fernöstlichen Types, die haben keine Eschatologie in diesem Sinne. Sie beschränken sich darauf, eine Erlösung für das Individuum anzubieten, während der Zustand der Welt keine wirkliche Bedeutung für sie hat und auch keine Änderung derselben angestrebt wird. Deswegen sind diese Religionen, allen voran der Buddhismus so beliebt, hat doch in so einer Welt jeder nur für sich persönlich Verantwortung, für sein Karma, das andere wird wie eine Illusion behandelt. Es geht dabei nur um die esoterische Erlösung der Seele von der Abhängigkeit der Materie, bzw. um eine innere Harmonie mit allem geschaffenen (wobei geschaffen nicht wörtlich zu verstehen ist, sonder durchaus auch als evolutionäre Hervorbringung). Gerade diese Reduzierung aber des Menschen auf seinen Idividualismus in der Distanz zur Gesellschaft, ohne echte Verantwortung, dürfte die Attraktivität dieser Religionen ausmachen und erklären, warum so viele Menschen vor allem unter den Intellektuellen in diese Wolkenkukkuksheime flüchten.
Welche Konsequenzen ergeben sich aber aus dieser Erkenntnis, dass es in der Welt eine Quasi-Konkurrenz der eschatologischen Hoffnungen gibt?
Ich denke die Konsequenzen sind sehr weitreichende, und wir bekommen sie gerade in unserer Zeit zu spüren, aber noch sehr viel mehr die Generation unserer Kinder und Enkelkinder. Die letzte eschatologische Seifenblase die geplatzt ist, war der Kommunismus ob er deswegen schon ganz besiegt ist, wird sich zeigen. Er hat sich jedenfalls von seiner Vorstellung eines Arbeiterparadieses durch die Abschaffung fester Eigentumsverhältnisse verabschieden müssen. Zugleich hat die kapitalistische These von der Sättigung der Welt durch Produktionsgüter und des weltweiten Konsumparadieses, das in letzter Konsequenz auch die Armut weltweit überwinden werde, zugleich hat diese letzte der materialistischen Thesen, einen deutlichen Riss bekommen und viele fürchten auch ein Scheitern Kapitalismus.
Beides aber waren sehr bedeutende Konzepte, einander gar nicht unähnlich, denn auch der Kommunismus war rein materialistisch orientiert. Das Versagen der Ideologien macht aber viele ratlos. Politiker und Philosophen sind stark betroffen, sie können die Welt nicht mehr ausreichend erklären und damit auch nicht führen, es sei denn, sie beginnen wieder auf andere eschatologische Konzepte zurück zu greifen, bzw. neue zu entwickeln. Beides bietet sich an. Die Köpfe der Philosophen dürften schon ziemlich rauchen. Die Suche nach neuen Wegen, die Zivilisation nicht nur vor dem Chaos zu retten, sondern sie auch auf eine höhere Stufe der Zivilisation zu hieven, oder ihr dazu zumindest wieder die Hoffnung zu geben, hat begonnen. Die Politik aber hält weitgehend noch an den alten Konzept mit seinem links/rechts Schema fest, auch wenn das bereits längst ein Anachronismus ist. Viele haben das noch nicht durchschaut. Andere schon, machen aber im alten Trott weiter, weil sie nichts anderes kennen. Dieser Trott ist der Liberalismus, die theoretische Grundlage des Kapitalismus.
Das alles hat natürlich auch Auswirkungen auf die Religionen, die eine messianisches Zeitalter als eschatologische Vision haben. Sie fühlen sich dem Ziel näher den je zuvor, gerade begründet im Versagen der alten Konzepte. Sie die Totgesagten mit ihrem Gottesglauben fühlen sich wie die Auferstandenen und verstärken ihren missionarischen Eifer, nun nicht nur die individuelle Erlösung propagierend, auf die sie sich während der Zeit der atheistischen Ideologien ganz zurückgezogen hatten, der Islam noch mehr als das Christentum. So verkündigen sie auch wieder ihre jeweilige Eschatologie und lösen damit neue Strömungen aus. Hier wurzelt der Konflikt, den wir derzeit sehen. Die Moslems erwarten ja das Kommen des Mahdis (mosl. Messias bzw. Welterneuerer) erst, nachdem der Islam diese Welt erobert hat. Sie haben es also besonders eilig. Die Christen aber haben zwei große Strömungen in ihrer Eschatologie: die postmillennialistische und die prämillenialistische, eine amillenialistische Version gibt es auch noch, doch die ist weitgehend nur im Inaktivem Namenschristentum, oder zurückgezogenen Mystizismus wirksam und von daher ähnlich bedeutungslos für die Gesellschaft wie die fernöstlichen Religionen.
Bevor wir aber die Konsequenzen der beiden großen unterschiedlichen Richtungen bewerten wollen, müssen wir noch einmal zusammenfassen und den Faden ein wenig weiter spinnen: Wir leben also in einer Zeit, in der alte eschatologische Hoffnungkonzepte scheitern und noch Ältere sich wieder verstärkt zurück melden. Dabei prallen derzeit unterschiedliche Welten aufeinander und ringen um eine Vorherrschaft im allgemein empfundenen Endkampf um die Rettung der Erde vor dem totalen bevorstehenden Chaos. Alte und neue, eben erst erfunden Konzepte geraten in einen Konkurrenzkampf, der asymetrischer nicht sein kann und alles in der Welt in Frage zu stellen scheint. Aktuell stehen auf dieser Bühne neben den Christen und den Moslems auch noch immer die alten und neuen …ismen. Der Kapitalismus wird nicht freiwillig aufgegeben, wie der Kommunismus. Dieser wird wohl auch wieder einen Neustart versuchen, ebenso der Nationalismus, der einen gewissen Aufwind schon zu spüren meint. Der Liberalismus aber wird sich heftigst wehren gegen seine Einschränkung. Dennoch wird er fallen, aber wohl nicht durch eine Religion, oder eine der anderen alten Ideologien, sondern durch sein offenbar werdendes Versagen und etwas Neues, das gerade am entstehen ist.
Ich kann es noch nicht deutlich sehen, weiß auch nicht wie das Ding heißen wird, aber es wird wohl so eine Art Universalismus sein, in dem alle Religionen vereint sind und der Mensch eine einheitliche Weltordnung mit einer Weltregierung anstreben wird. Diese Notwendigkeit erscheint sich für die ideologiegesteuerte säkulare Gesellschaft daraus zu ergeben, dass im Todeskampf der alten Systeme, in dem keines mehr siegen kann, viel Blut fließen und die Welt in ein unvorstellbares Chaos geraten wird. Der einzige Ausweg aus diesem Chaos wird aber die Vereinheitlichung der Welt sein. Eine Kultur, eine Religion, eine Regierung, etc. Ein großes Bündnis wird diesen Universalismus einleiten. Vielleicht könnte man auch von einem Projekt Babylon sprechen, denn diese Methapher sagt aus, dass wir wieder zurückgehen, zu der Zeit, in der die Menschen eine Sprache sprachen und ein einziges Volk waren. Man wird den Gläubigen vormachen wollen, dass Gott dieses mal nichts dagegen haben wird, da die Erde ja schon so voll ist. Denn die neue Weltordnung wird nicht so wissenschaftlich sein wie die alte, sie wird Gläubigkeit akzeptieren, sie als postfaktische Realität mit einbeziehen. Ja sie wird versuchen gerade aus den unterschiedlichen Spiritualismen der Gesellschaft Kapital zu schlagen. Alle Religionen aber werden soweit liberalisiert und humanisiert sein, dass sie sich nicht mehr gegenseitig in die Quere kommen können. Hier hat die Postmoderne viel Vorarbeit geleistet in der Harmonisierung der supranaturalen Vorstellungswelt der Menschen und der Erhebung der Toleranz zur höchsten Tugend in der Gesellschaft. Sie wird dem Menschen zugestehen, dass er eine Seele hat und ein spirituelles Wesen ist, sie wird ihm erlauben, ganz nach seiner Fasson selig zu werden, jegliche Mission aber wird verboten werden.
In dieser Entwicklung wird nämlich letztendlich die Philosophie und nicht die Religionen die Oberhand behalten. Diese wird klug genug sein, sich mit den Religionen kein weiteres mal anzulegen und ihre Existenzberechtigung so grundsätzlich in Frage zu stellen, wie das in der Philosophie der Modernen geschah. War es doch nicht zuletzt der Boykott der Religiösen, der ihre alten Konzepte mit zum Scheitern brachten, indem sie sich weigerten ihren Glauben aufzugeben und sich ganz dem Materialismus hinzugeben. Dennoch wird die Philosophie wegen ihrer stärkeren Konsistenz die Führung innehaben und die Politik wie die Religionen gleichermaßen beeinflussen. Den Trotz der zugestandenen Vielfalt in der persönlichen Glaubenshoffnung, muss die der Gesellschaft einheitlich sein und die Religionen werden hier auf eine harte Probe gestellt werden. Sie müssen nämlich mitmachen. Man wird sie für die Propaganda brauchen. Sie werden das kommende Konzept, die neue Weltordnung absegnen und das wird ihnen den Status des falschen Propheten verleihen. Wer aber wird diesem, jede Religion in ihrer Ursprünglichkeit vernichtenden Konzept erliegen? Wer wird widerstehen können. Wer wird am allerletzten Vorabend der Erscheinung des Antichristen noch dogmatisch »rein« sein und damit moralisch in der Lage, die Zahl des Antichristen zu erkennen und zu verweigern (… Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres Off. 13:18)?
Mann muss aber zugeben, dass der literale Sinn der Johannesoffenbarung eher den Anschein prägt, dass Jesus zuerst wiederkommt und dann 1000 Jahre regiert, bis es zum Endgericht kommt. Es wird sogar der Eindruck vermittelt, dass sich vor der sichtbaren Wiederkunft Christi, wie sie in Off. 19 beschrieben wird, keine Möglichkeit geben wird, auf Erden nochmal etwas zum Guten zu bewegen, im Gegenteil, wird eine große Verstockung die Welt gegenüber dem Evangelium unempfindlich machen. Erneut scheinen sich die Verhältnisse umzukehren. Gott wendet sich Israel wieder zu und es erkennt mehr und mehr seinen Messias und vertraut auf ihn. Während die Decke, die auf ihrem Angesicht lag, nun auf die Heidenvölker gelegt wird.